RN vom 03.12.2014

Schloss auf ein Pferd verwettet

Von Hubert Kersting

uf ein Pferd verwettetVon Hubert Kersting

Vor dem südlichen Zinngraben des Schlosses, rechts des Weges nach Capelle, stand vor über 100 Jahren ein Fachwerkhäuschen. Im Volksmunde hieß es „Waschhaus“, obwohl es mit der Wäscherei nichts zu tun hatte. Jahrelang flatterte auf dem Dach eine blaugelbe Fahne des Besitzers der Herrschaft Nordkirchen, des ungarischen Grafen Nikolaus Esterhazy (Foto). Um 1870 ließ Graf Nikolaus edle Pferde vom Rhein nach Nordkirchen kommen, englische Vollblüter. Eines dieser Pferde war die Stammmutter des berühmten „Stronzian“, jenes Vollbluthengstes, der 1882 im Waschhaus zur Welt kam und dessen Name für eine kurze Zeit wie ein Komet auf die Sportbahn leuchtete und der blaugelben Schärpe des Stalles Esterhazy ungeahnte Triumphe verschaffte.

Vier Wochen nach dem ersten Auftritt in Wien (Mai 1884) meldete der Graf Stronzian für das deutsche Derby in Hamburg an. Wie hoch gewettet wurde, konnten nur die vertrautesten Freunde des Grafen sagen, doch so viel drang an die Öffentlichkeit, dass mehr als die Herrschaft Nordkirchen, das ganze Schloss und alle weiteren Besitztümer rund um Nordkirchen auf dem Spiele standen. Die Aufregung beim Grafen wuchs ins Unerträgliche. Auch den beiden Trompetern vor dem Gasthof am Dorfeingang riss die Geduld; sie eilten zum Postamt. Dort war kurz nach 17 Uhr das Telegramm vom Grafen Fürstenberg eingelaufen: „Stronzian hat leicht gewonnen!“ Auf den Bescheid hin stürzten beide zur Tür hinaus und begannen auf den Trompeten zu blasen, indem sie die Schloßstraße hinauf rannten und den Bürgern zuriefen: „Stronzian hat gesiegt!“

Wie ein Lauffeuer flog die Nachricht von Mund zu Mund. Als der Graf die Trompetensignale hörte, kannte seine Freude keine Grenzen. Er lief auf der Venus-Insel und wartete auf die Bläser, die außer Atem waren. Als der beliebte „Thom“ den Grafen auf der anderen Seite des Teiches sah, konnte er völlig außer Atem rufen: „Stronzian leicht gewonnen“. Da fiel dem Grafen ein Stein vom Herzen und er eilte ins Schloss. Als der Graf im Schloss das Telegramm gelesen hatte, sagte er zu Thom: „Nun soll sich ganz Nordkirchen mit uns freuen.“ Die Feier dauerte bis zum nächsten Morgen. Es gab Freibier für alle und Butterbrote und Schinken, „damit sie das Trinken besser vertragen konnten“, so der Graf. In Aufzeichnungen ist nachzulesen, dass der Sieg Stronzians zu einer „Massenalkoholvergiftung „ von halb Nordkirchen führte und Schädelbrummen zur Folge hatte.

Bald nach dem Rennen kam Stronzian nach Nordkirchen und konnte von allen Bewohnern bewundert werden. Von Nordkirchen wurde Stronzian nach Baden-Baden geschickt, wo auch heute noch große Sommerrennen stattfinden. Bei der Vorbereitung zu diesen Rennen zog Stronzian sich eine Sehnenzerrung zu, die ihn für die Sportbahn untauglich machte. Stronzian kam Ende Juli nach Nordkirchen zurück und stand lange an der Stätte, wo er geboren war. Später wurde er als Deckhengst zur Zucht verwendet. Von den Vollblutpferden, die im Gestüt zu Nordkirchen aufgezogen wurden, hat noch manch anderes große Erfolge erzielt, keines aber hat an Stronzian herangereicht.