Vor
dem südlichen Zinngraben des Schlosses, rechts des Weges nach Capelle,
stand vor über 100 Jahren ein Fachwerkhäuschen. Im Volksmunde hieß es
„Waschhaus“, obwohl es mit der Wäscherei nichts zu tun hatte. Jahrelang
flatterte auf dem Dach eine blaugelbe Fahne des Besitzers der Herrschaft
Nordkirchen, des ungarischen Grafen Nikolaus Esterhazy (Foto). Um
1870 ließ Graf Nikolaus edle Pferde vom Rhein nach Nordkirchen kommen,
englische Vollblüter. Eines dieser Pferde war die Stammmutter des berühmten
„Stronzian“, jenes Vollbluthengstes, der 1882 im Waschhaus zur Welt kam und
dessen Name für eine kurze Zeit wie ein Komet auf die Sportbahn leuchtete
und der blaugelben Schärpe des Stalles Esterhazy ungeahnte Triumphe
verschaffte.
Vier
Wochen nach dem ersten Auftritt in Wien (Mai 1884) meldete der Graf
Stronzian für das deutsche Derby in Hamburg an. Wie hoch gewettet wurde,
konnten nur die vertrautesten Freunde des Grafen sagen, doch so viel drang
an die Öffentlichkeit, dass mehr als die Herrschaft Nordkirchen, das ganze
Schloss und alle weiteren Besitztümer rund um Nordkirchen auf dem Spiele
standen. Die Aufregung beim Grafen wuchs ins Unerträgliche. Auch den beiden
Trompetern vor dem Gasthof am Dorfeingang riss die Geduld; sie eilten zum
Postamt. Dort war kurz nach 17 Uhr das Telegramm vom Grafen Fürstenberg
eingelaufen: „Stronzian hat leicht gewonnen!“ Auf den Bescheid hin stürzten
beide zur Tür hinaus und begannen auf den Trompeten zu blasen, indem sie
die Schloßstraße hinauf rannten und den Bürgern zuriefen: „Stronzian hat
gesiegt!“
Wie
ein Lauffeuer flog die Nachricht von Mund zu Mund. Als der Graf die
Trompetensignale hörte, kannte seine Freude keine Grenzen. Er lief auf der
Venus-Insel und wartete auf die Bläser, die außer Atem waren. Als der
beliebte „Thom“ den Grafen auf der anderen Seite des Teiches sah, konnte er
völlig außer Atem rufen: „Stronzian leicht gewonnen“. Da fiel dem Grafen
ein Stein vom Herzen und er eilte ins Schloss. Als der Graf im Schloss das
Telegramm gelesen hatte, sagte er zu Thom: „Nun soll sich ganz Nordkirchen
mit uns freuen.“ Die Feier dauerte bis zum nächsten Morgen. Es gab Freibier
für alle und Butterbrote und Schinken, „damit sie das Trinken besser vertragen
konnten“, so der Graf. In Aufzeichnungen ist nachzulesen, dass der Sieg
Stronzians zu einer „Massenalkoholvergiftung „ von halb Nordkirchen führte
und Schädelbrummen zur Folge hatte.
Bald
nach dem Rennen kam Stronzian nach Nordkirchen und konnte von allen
Bewohnern bewundert werden. Von Nordkirchen wurde Stronzian nach
Baden-Baden geschickt, wo auch heute noch große Sommerrennen stattfinden.
Bei der Vorbereitung zu diesen Rennen zog Stronzian sich eine Sehnenzerrung
zu, die ihn für die Sportbahn untauglich machte. Stronzian kam Ende Juli
nach Nordkirchen zurück und stand lange an der Stätte, wo er geboren war.
Später wurde er als Deckhengst zur Zucht verwendet. Von den
Vollblutpferden, die im Gestüt zu Nordkirchen aufgezogen wurden, hat noch
manch anderes große Erfolge erzielt, keines aber hat an Stronzian
herangereicht.
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