Geologie der Allgäuer Alpen



Wendet man sich von Oberstdorf ostwärts, so befinden wir uns nach wenigen Kilometern inmitten der Allgäuer Alpen. Dieses Gebiet zählt zu den Nördlichen Kalkalpern, die im Lebenswerk des Geologen Otto Ampferer aufs genaueste beschrieben wurden. Von Süden nach Norden folgen übereinander vier Decken, die Krabachjochdecke, die Inntaldecke, Lechtaldecke und die Allgäudecke, die gemeinsam die Gipfelflur der Kalkalpen formten. Da diese Decken von Süden gegen Norden aufgeschoben wurden, grenzt in manchen Bereichen die Allgäudecke direkt an die Flyschzone, wie dies im Großen Walsertal der Fall ist. Unter der Allgäudecke stellt sich der Geologe keine einfache homogene Schichtplatte vor, sondern, wie auch dem Bergsteiger in den Allgäuer Alpen bekannt, ein vielfach gefaltetes und geschupptes Schichtpaket. Zwischen Hindelang und Oberstdorf unterscheidet man drei Gruppen: die Iseler-, Nebelhorn- und Jochschrofenschuppe. Da diese Schuppen in Faltung gelegt wurden, sind in den Mulden Aptychenkalke anzutreffen, wie etwa bei dem exemplarischen Beispiel der Höfats. Wo die Lechtaldecke auf die Allgäudecke aufgeschoben ist, das ist am Hauptkamm der Allgäuer Alpen der Fall, findet der geologisch Interessierte die Abfolge der Erdgeschichte. Während die Allgäudecke (geologische Formation der Jura) hier im Besonderen aus Liasfleckenmergel, Malm und Cenoman zusammengesetzt ist, ist die Lechtaldecke primär aus Hauptdolomit aufgebaut. Der Hauptdolomit ist ein magnesiumhaltiger Kalkstein der Trias-Zeit von meist leicht bräunlicher Farbe und typischer Bankung, der wildzerrissene Wände und öde Schuttkare mit spärlicher Vegetation bildet. So bestehen die höchsten Erhebungen aus diesem recht brüchigen Gestein, das den weichen Mergelschiefern der "Grasberge" aufgesetzt ist. Die landschaftlich gut ausgeprägte Überschiebungsgrenze folgt nicht einer geraden Linie, sondern bietet im Bereich des Großen Krottenkopfes und dem Einstein im Tannheimer Tal zwei großen tektonischen Fenstern Platz ("Hornbachfenster" und Jannheimer Fenster").

Untersucht man die Gesteine um Oberstdorf aus entstehungsgeschichtlicher Sicht, so stellt man gleich fest, daß es sich hierbei um Ablagerungsgesteine handelt: Kalke, Tone, Mergel, Schiefer, die in seichten Meeresgewässern gewachsen sein mußten, und dies war auch der Fall.

Es ist für den Bergsteiger geradezu verblüffend, wenn er in Höhen über 2000 Meter, etwa am Schneck oder der Höfats, Radiolarien, Versteinerungen winziger Meerestierchen entdeckt. Auch andere Fossillen findet man im Traufbachtal, am Grünten oder in der Starzachklamm bei Sonthofen, wie auch Radiolarite am Stuibenfall.

Betrachtet man nun nach diesem geologischen Streifzug die einzelnen Gebirgsketten, so sieht man vielleicht doch mehr, als nur die Hauptdolomitfelsen der Allgäuer Alpen, mehr als die Flyschzone mit den blumenreichen Wiesen des Fellhorns oder die zerklüftete Ebene des Gottesackers, die dem Mesozoikum entstammen. Man blickt voller Ehrfurcht auf ein Stück interessanter Erdgeschichte, das von der Kraft und Energie der Gebirgsbildung berichtet.





Morphologie (Formengestaltung)



Wie bereits erwähnt, haben das Wasser und vor allem die Gletscher der Eiszeit bei der Formung und Gestaltung des Gebirges einen wesentlichen Anteil gehabt: Aus den keilförmigen V-Tälern hobelten die Gletschermassen weite U-Täler, in denen nach dem Rückzug des Eises Schwemmebenen, Moore und mäandrierende Flüsse und Bäche zurückblieben. So erkennt man in dem Oberstdorfer Becken mühelos eine nacheiszeitliche Seelandschaft, die allmählich verlandete. Dieser nacheiszeitliche See hatte eine Länge von mehreren Kilometern, bis nach Langenwang, wo sich die Iller ein neues Flußbett suchte. Auch die Breitach erodierte nach Verschwinden des Sees und suchte sich den heutigen Verlauf. War sie früher über das heute eigenartige Trockental des Hirschsprungs geflossen, so vereinigt sie sich heute mit der Trettach und dem Grundbach nördlich von Oberstdorf zur Iller.

Besonders dem Wanderer fallen die vielfach steilen Stufentäler auf, die ein Relikt der Eiszeit sind. Die weniger starken Gletscher der Seitentäler mündeten in einem höheren Niveau in den Hauptgletscherstrom ein, sodaß über eine Stufe der nacheiszeitliche Gletscherbach ins Haupttal stürzte. Im Lauf der Jahrtausende erodierte der Bach rückschreitend in das Seitental bergwärts, wodurch die in den Allgäuer Alpen hinreichend bekannten Tobel entstanden, wie der Faltenbach-, Geißbach-, Höll-, Mutzen-, Körber- oder Geißalptobel.

An größeren Seen ist nur der Alpsee bei Immenstadt und der Niedersonthofner See in der Karte erfaßt. Zahlreich dagegen sind die kleinen Seen in den Mulden der Hochkare. Weit oberhalb des Talnetzes findet man in einsamen Karen die Edelsteine der Allgäuer Gebirgswelt: Bergseen, wie den Geißalpsee, den Seealpsee, Engeratsgundsee, um nur die größten aus den etwa 50 Allgäuer Bergseen zu erwähnen. Sie sind RestSeen aus vergangenen Gletscherzeiten, die sich in den Allgäuer Alpen weitgehend zurückgezogen haben. An den Schattseiten finden wir noch Reste von Lawinenschnee, die sich nach schneereichen Wintern in kleine Firnfelder verwandeln (Bacher Loch - Kalter Winkel am Hochvogel Schwarzmilzferner und andererorts).





Flora



Eng mit der Geologie sind die Wachstumsbedingungen der Alpenflora verknüpft. Auf dem kieselsäurereichen Boden der Hornstein- und Aptychenkalke wächst naturgemäß eine anders geartete Pflanzengesellschaft als auf den humusreichen Wiesen der Mergel- und Flyschzone. So wachsen am kieselsäurereichen Boden die Bergerlen, wohingegen auf den Lias- und Flyschbergen die Rostblättrige Alpenrose anzutreffen ist. Noch hoch über dem Weideland findet man an kargen Standorten Polsterpflanzen. Nur dort, wo der Hauptdolomit als Gesteinsbildner in der Weideregion auftritt, findet man die wenigen Latschen (Legföhren) der Allgäuer Alpen. Auch das Weidegebiet hat seine eigene Flora hervorgebracht: die Allgäuer Lägerflora, die aus der Pflanzengesellschaft des Eisenhuts, Kreuzkraut und Brennessel besteht und auf die Weidewirtschaft und die überdüngten Wiesen zurückzuführen ist.

Im Wandel der Jahreszeiten kann man das wechselnde Farbenspiel der Blütenpracht beobachten: Soldanellen, Schlüsselblumen, Lichtnelken, Storchschnabel, Mehlprimeln, Stengelloser und Gelber Enzian, Edelweiß, Trollblumen, Knabenkraut, Gelber Bocksbart, Glockenblumen und viele Orchideenarten. In den tieferen Regionen ist der Mischwald vertreten (die Waldgrenze verläuft etwa in 1600 Metern) und setzt sich aus Bergahorn, Eibe, Fichte, Rotbuche, Vogelbeerbaum und vereinzelt Weißtannen zusammen. Um auch den uns folgenden Generationen die Blütenpracht der Gebirgswelt zu bewahren, stehen im Naturschutzgebiet um Oberstdorf alle Lilienarten unter strengstem Naturschutz. Dazu kommen die Alpenanemonen, Akelei, Seidelbast, Primeln, Aurikel, Enzian, Alpenrosen, Arnika, Edelweiß und Edelraute. Als Besonderheit muß unter der Pflanzenwelt des Allgäus noch der älteste Baum Deutschlands erwähnt werden, die etwa 2000 Jahre alte Eibe bei der Talstation der Materialseilbahn zum Prinz-Luitpold-Haus.





Fauna



Wie in jeder Gebirgsgegend trifft man auch hier viel Rotwild an; in der steinigen Feisregion begegnet man oft dem Gamswild, das in Rudeln von bis zu 100 Stück graziös die steilsten Hänge überquert und sich in einem steinigen Kar um den Bock schart. Oft wird der Wanderer den schrillen Warnpfiff des Murmeltiers hören, seltener wird er aber den frechen Gesellen zu Gesicht bekommen. Wohl zum schönsten Bergerlebnis gehört es, einen Steinadler bei seinem unermüdlichen flügelschlaglosen Gleiten zu verfolgen und wer Glück hat, kann sogar eines der wenigen heimischen Paare, die im Allgäu und in den nahen Lechtaler Alpen nisten, zu Gesicht bekommen.